Dr. Christian Wipperfürth 
Lektor der Robert Bosch Stiftung in Sankt-Petersburg

Zur Person:

40 Jahre alt. 10 Jahre Schule (Realschule) in Westdeutschland, Ausbildung zum Bankkaufmann, Wehrdienst, Abitur auf dem 2. Bildungsweg, Studium der Geschichte, Politik und Philosophie in Bonn. Seit Januar 1990: Arbeit in Weimar (DDR) in verschiedenen politischen Aufgaben, zuletzt Mitarbeiter des Deutschen Bundestages. Schwerpunkt der Arbeit: Industrieforschung in Ostdeutschland. Dissertation, Thema: Britische Aussenpolitik und Sozialokönomie im Zeitalter des Imperialismus, Beendigung des Promotionsverfahrens 2001.

Für welche Organisation arbeiten Sie in Sankt-Petersburg?

Ich bin beschäftigt an der Fakultät für Internationale Beziehungen der Staatlichen Universität. Mein Aufenthalt wird finanziell gefördert durch die Robert Bosch Stiftung, die faktisch Eigentumerin der Firma "Bosch" ist. Die Stiftung widmet sich verschiedenen Aufgaben, betreibt in Deutschland beispielsweise ein Krankenhaus, finanziert medizinische Forschung und unterstützt durch verschiedene Programme die Völkerverständigung. So werden zum Beispiel Deutsche gefördert, um in Ostmittel- und Osteuropa auf Deutsch zu unterrichten und Tschechen, Polen und Russen, um in Deutschland in ihren Muttersprachen zu lehren.

Plant die Organisation weitere Vorhaben?

Die Stiftung verstärkt ihre Programme zur Völkerverständigung. Vor zwei Jahren waren etwa 60 Deutsche in Ostmittel- und Osteuropa tätig, derzeit sind es 100 und es ist auch für das kommende Jahr ein Zuwachs geplant. In Russland arbeiten zur Zeit fast 30, und zwar in Irkutsk, Krasnojarsk, Omsk, Nowosibirsk, Tjumen, Jekaterinburg, Ufa, Samara, Saratow, Nischnij Nowgorod, Kazan, Rostov, Joschkar Ola, Jaroslawl, Moskau, Orel, Kaliningrad und St. Petersburg.

Inhalt und Dauer Ihrer Veranstaltungen?

Themen sind in Geschichte: "Europäische Geschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert" sowie in Politik "Das politische, wirtschaftliche und soziale System der Bundesrepublik Deutschland". Dauer: je zwei Stunden pro Woche, zwei Semester lang. Die Unterrichtssprache ist Deutsch.

Ziele Ihrer Veranstaltungen?

Das Verständnis für langfristige Entwicklungen schärfen, ein Bewusstsein für die Gründe der Unterschiedlichkeit der Entwicklung verschiedener europäischer Völker schaffen. Mit den Grundstrukturen der Organisation der Politik in Deutschland bekannt machen, sowie insbesondere die Bedeutung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sektors herausarbeiten. Studenten erhalten die Möglichkeit, Deutsch zu hören und zu sprechen.

Welche Themen sind für russische Studenten besonders wichtig?
Politik: Ich glaube, dass es für meine Studenten wichtig ist, einen Eindruck von verschiedensten Facetten des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland zu erhalten, um dessen Stärken und Schwächen kennenzulernen. Das kann auch das Verständnis für die Aufgaben und Chancen der Entwicklung in Russland schärfen.
Geschichte: Die Entwicklung zwischen den wichtigen Völkern Europas verlief in den vergangenen Jahrhunderten sehr unterschiedlich. Ich möchte Ursachen und Auswirkungen hiervon heraus arbeiten, um bei den Studenten ein Verständnis dafür zu schaäfen, was Entwicklung ermöglicht oder behindert.

Was interessiert russische Studenten besonders?

Meine Studenten sind besonders an Fragen der Aussenpolitik interessiert. Diese werden im kommenden Semester auch einen noch breiteren Raum einnehmen. Ich glaube, dass es bei den Studenten und weit darüber hinaus ein großes Interesse an meinem Heimatland gibt.

Worin besteht Ihr persönliches Interesse an Russland?

Ich interessiere mich seit über 20 Jahren für Russland. Meine Aufmerksamkeit und Zuneigung wurden zunächst durch die russische Literatur geweckt. Die geographische Nahe und (scheinbare) Unergründlichkeit dieses Landes verstärkten mein Interesse. - Und: Russland liegt in nördlichen Breiten, mit einem eher kalten Klima, was mir gut gefällt. Ein Land mit einem heissen Klima könnte keine solche Zuneigung in mir wecken.

Planen Sie weitere Arbeit in Russland?

Die Unterstützung meiner Arbeit durch die Bosch Stiftung ist auf ein Jahr begrenzt und würde im kommenden Juni auslaufen. Ich werde mich vermutlich um eine Verlängerung um ein weiteres Jahr bemühen, um meine Arbeit an der Fakultät für Internationale Beziehungen fortsetzen zu können.

Gibt es Stereotypen in der deutschen Wahrnehmung von Russen und umgekehrt?

Natürlich! Kein Volk hat in den vergangenen Jahrhunderten einen derart starken wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einfluss auf Russland ausgeübt, wie das deutsche und der russisch-sowjetische Einfluss auf die deutsche Geschichte war im 20. Jahrhundert kaum weniger stark. Das Bild vom jeweils andern ist in Jahrhunderten gewachsen und Stereotypen ändern sich nur langsam. Glaube, dass für Deutsche Russland ein Land von besonders großem Interesse ist - obwohl nur wenige meiner Landsleute in dieses Land reisen. (Dies liegt nicht zuletzt an den Visabestimmungen, die für Deutsche und Russen erleichtert werden sollten.) Alle großen deutschen Zeitungen berichten täglich über Russland und Bücher über dieses Land haben eine hohe Auflage. Deutsche besitzen häufig ein großes Interesse an Russland.
 

   
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